Jede unserer Handlungen ist mit dem Gedanken an Reisen verbunden. Mir gefällt der Gedanke, daß unsere Gehirne ein Informationssystem enthalten, daß uns Weisungen für den Weg gibt, und daß hier die Triebfeder unserer Ruhelosigkeit begründet liegt. In einer früheren Phase seiner Entwicklung entdeckte der Mensch, daß er alle diese Informationen in einem Zug ausplaudern konnte, indem er an den chemischen Eigenschaften des Gehirns herumdokterte. Er konnte zu einer illusorischen Reise aufbrechen oder einen imaginären Höhenflug antreten. Folglich haben Seßhafte Gott naiv mit Wein, Haschisch oder einem halluzinogenen Pilz gleichgesetzt, doch echte Wanderer sind dieser Illusion selten zum Opfer gefallen. (...) Echte Reisen sind effektvoller, rationeller und lehrreicher als vorgetäuschte Reisen. Wir sollten in die Fußstapfen Hesiods auf dem Berg Helikon treten und den Musen lauschen. Schreibt Bruce Chatwin über die "nomadische Alternative". Ich frage mich allerdings, ob man auf dem Berg Helikon nicht doch ein Pfeifchen zum besseren Lauschen schmauchen könnte.
Zumal Chatwin an anderen Stellen das Haschischrauchen (zum Beispiel) der nomadischen Derwische hervorhebt und in Gegensatz zur Seßhaftigkeitsmachung des christlichen Alkoholkonsums setzt. Mir scheinen solche kategorischen Versuche immer fehlgehen zu müssen (wie zum Beispiel auch die wertende Unterscheidung zwischen "Augen-" und "Ohren-dominierten" Lebensweisen.) Man kann immer die eine oder die andere Seite sehr stark zu machen versuchen, die Argumente scheinen relativ beliebig. Wenn es einem um die Reflektion der Phänomene geht, besteht keine Notwendigkeit zu streng kategorisierenden Aussagen. Die Frage nach dem Zusammengehen von Reise-, Denk- und Drogenerlebnis bleibt mir jedenfalls eine offene.

Wenn Reisen bedeutet, ortlos zu sein, wie es so oft heißt, was ist der Gewinn dieser Ortlosigkeit? Und kann diese Ortlosigkeit überhaupt eine freigewählte sein? Oder, müßte man unterscheiden zwischen einer allgemeinen Ortlosigkeit als Befund einer bestimmten Zeit und einer spezifischen individuellen Ortlosigkeit? Wird diese letztere dann nicht ihrerseits wieder zu einer Art des Zuhauseseins, ein "Ort im Nirgendwo", zu dem man immer "zurückkehrt" - nämlich wenn man "auf Reisen" ist? Kann es, so gesehen, überhaupt eine Ortlosigkeit geben? (Bedeutete sie dann doch, absolut keinen Ort, auch keinen im Denken oder im Fühlen, zu haben, zu dem man zurückkehren kann. Eine völlige Entgrenzung aller Sinne, die in den Tod oder in einen Wahnsinn führen muß; der seinerseits auch wieder ein "Zuhause" ist.)
Geht man davon aus, dass "Ortlosigkeit" ein allgemeines Symptom unserer Zeit ist, gewinnt die Reisemetapher ein ungeheures Gewicht; aber nicht als Flucht in ein anderes Lebenskonzept, sondern als Auseinandersetzung mit dem uns Gegebenen.